Rückschau: SundMehr am 25.11.2016 – Gast: Pfarrer Matthias Wanzeck

17 Sadomasochisten trafen sich zum letzten Gesprächskreis SundMehr im Jahr 2016, um sich mit dem örtlichen Pfarrer der Evangelischen Kirchengemeinde Rommelshausen, Matthias Wanzeck über „Schuld und Scham, weil man ist, wie man ist“ zu unterhalten.

„Was habe ich mit Kirche zu tun?“ war dabei die Einstiegsfrage, bei der die unterschiedlichsten Verbindungen zum Vorschein kamen: von der abgeschlossenen Laienprediger-Ausbildung in einer der anderen 26 Gliedkirchen https://www.ekd.de/kirche/gliedkirchen/karte.html der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), zur jahrelangen Verbundenheit in der Jugendarbeit bis zur Mitgliedschaft in einer Freikirche. Auch Leute mit inzwischen abgerissenem Kontakt, der inzwischen kaum noch Relevanz hat oder zum Austritt und zur Hinwendung zum Atheismus führte, waren anwesend. „Mir geht es mit Kirche, wie mit SM: wichtig ist, dass
gegenseitige Sympathie herrscht“ verband ein Teilnehmer die Themen, und ergänzte, dass ihn ansonsten eher die Gebäude interessierten; das Äußerliche.

Was er mit Kirche zu tun hatte, konnte Wanzeck nicht nur über seinen Beruf erläutern, sondern auch aus der Tatsache, dass schon sein Vater Pfarrer war, allerdings nicht einer großen Dynastie entstammte. Zudem sei ihm, als er vor zwei Jahren erstmalig mit der Einladung konfrontiert wurde, zu SundMehr http://www.sundmehr.de/Termine/20140228.htm zu kommen, die Antwort schwer gefallen, was und warum dazu etwas von Seiten eines Pfarrers zu sagen sei. Lange habe er gesucht, ob es offizielle, Stellungnahmen der Evangelischen Kirche zum Thema SM gäbe, was nicht der Fall war und da er in einer Gegend aufgewachsen ist, wo pietistische
Strömungen nicht weit verbreitet sind, und die Frage der Sexualmoral darum weit weniger diskutiert wurde, waren ihm diesbezügliche Skrupel und Schwierigkeiten weit unbekannter, als manchem anwesenden Gesprächskreisbesucher.

Als Einstieg erläuterte der Pfarrer darum auch, dass die Württembergische Landeskirche nicht mit konservativen, evangelischen Glaubensformen gleichzusetzen sei, wenn diese auch hier besonders stark ausgeprägt sind. Die Württembergische Landeskirche ist allerdings eine von zwei Gliedkirchen der EKD, in der die Segnung homosexueller Paare
nicht möglich ist. Auf Grund seiner Prägung sei er, für Kritik an entsprechenden Glaubensformen, eher der falsche Ansprechpartner, so Wanzeck.

Da das Gespräch an diesem Abend lang und Intensiv werden würde, zeichnete sich ab, als ein Fragenkatalog gesammelt wurde.

Wie ein Mensch, mit SM-Neigung sich in der Kirche wohlfühlen könnte, war der Einstieg und die Antwort bestand aus dem Hinweis, dass ja niemand davon erfahren müsse. Wo solle die Neigung im kirchlichen Leben denn vorkommen? Doch sie kommt genau da vor, wo der Glaube an einen Gott gelebt wird, der ja alles sieht, weiß und kennt. Als Grundidee von ‚Gott‘ sei dies schon korrekt, so der Pfarrer. Doch gehöre zur Christlichen Vorstellung von Gott auch die Idee, dass er alle Menschen bedingungslos liebt, versteht und so geschaffen hat, wie sie sind. Dies dürfte also keinen Reibungspunkt mit einer persönlichen, nicht öffentlichen Neigung ergeben. Thema ist also eher die Furcht vor anderen und wie man mit fundamentalistischen Argumentationsfäden umgehe.

Hier stellt sich die Frage des Bibelverständnisses – die auch von einer Teilnehmerin beigesteuert wurde: Um zum Beispiel das Gebot „du sollst nicht ehebrechen“ zu verstehen, müsse man die biblische, antike Vorstellung von Ehe und Familie kennen, die weit davon abweicht, was heutzutage als akzeptabel gilt. So musste im Alten Testament Jakob zunächst 7 Jahre arbeiten um seine Frau zu „bekommen“, die dann nicht die von ihm erwählte, sondern deren weniger attraktive Schwester war – sodass er erneut jahrelang arbeiten musste um an sein Ziel zu kommen und dann die von ihm ursprünglich erwählte Gattin zusätzlich (übereignet?) bekam (1. Mose 29 http://www.bibleserver.com/text/LUT/1.Mose29%2C23). Letztendlich proklamiert die Bibel also kein spezielles Familienbild und ist überhaupt: ein vielstimmiges Buch. Theologische Bildung hilft, verschiedene Aussagen einzuordnen und zu verstehen. Die Frage, ob denn ein Laie, ohne diese Vorbildung, in der Lage ist, die Bibel im Handel zu
kaufen und zu lesen, wurde dann erstaunlicher Weise eher abgelehnt, wobei aus der Runde der Hinweis kam: dazu gäbe es ja gerade die Kirche, denn dort sind andere Menschen, die sich auch etwas besser mit der Bibel auskennen. „Ich spreche gerne davon, dass die Bibel gemeinschaftlich verstanden wird“ erläuterte der Pfarrer und erteilte damit der Vorstellung eines einseitigen, einstimmigen oder wörtlichen, absoluten Bibelverständnisses eine Absage.

Hier regte sich dann doch Unmut bei einem Anwesenden, denn dies entspräche nicht dem, was in ‚der Kirche‘ gelebt würde. Es stellte sich heraus, dass fraglich ist, was ‚die Kirche‘ überhaupt ist, denn schließlich unterscheidet sich dies, je nach Frömmigkeit, die regional praktiziert und gelebt wird. Die Orientierung bliebe, so der Pfarrer, dass Gott den Menschen so erschaffen hat, dass er auf Beziehung ausgelegt ist.

Die Aussage schlug die Brücke zu der in verschiedenster Formulierung eingangs gesammelten Frage, welche Teile der Erotik aus einer Beziehung ausgelagert werden dürften. Die Antwort kam dann nicht nur vom Pfarrer allein, sondern stellte sich in einer Diskussion in der Gruppe heraus: Wenn Beziehungen nicht auf Augenhöhe gelebt werden, leidet die Partnerschaft auch innerhalb einer Ehe. Das Bedürfnis nach Verständnis, Gleichberechtigung und Selbstentfaltung betrifft grundsätzlich beide Partner und zudem: Wechselweise! Das Anderssein des Partners ist jeweils zu respektieren sofern es eine Vorliebe oder gar Abneigung betrifft. Der Beginn eines Ehebruchs besteht schon daraus, dass darüber keine Kommunikation stattfindet, war die These, die eine Vertiefung der Diskussion nach sich zog, ob brutalstmögliche Offenheit wirklich gut ist, oder Partner auch überfordern oder mehr als nötig verletzen könnte. Vielleicht ist Schweigen doch auch im Einzelfall der bessere Weg? Hierüber kam keine einheitliche Meinung zustande und auch der Pfarrer riet eindeutig zur Kommunikation.

Aufgabe der Kirche sei es auch nicht, Moral durchzusetzen, denn das ginge überhaupt nicht, erklärte Wanzeck und schloss die Antwort an die Frage an, wie offen ein Kirchenvertreter über seine liberalen Einstellungen kommunizieren könne: Schwierig könne es werden, wenn es um öffentliche Stellungnahmen geht. Am Umgang mit dem Thema Homosexualität zeigt sich, dass die Kirche hier sehr wohl auf konservative Kreise und deren Reaktionen schielt. Ein Gesprächskreisteilnehmer ergänzte, dass dies ja auch bei Themen wie ‚Umweltschutz‘ der Fall sei, wenn die Minderheit der E-Auto-Besitzer nicht ausreichend berücksichtigt wird, weil Lobbyverbände und die Mehrheit der Autofahrer dies nicht unterstützen. „Aber von der Kirche erwarte ich etwas anderes“ widersprach eine Anwesende und berichtete, wie in der Rheinischen-Landeskirche, eine veränderte Haltung zum Thema Homosexualität, auch zu einer Veränderung in der Gesellschaft geführt hat. Fraglich fand ein anderer Anwesender auch, warum die Kirche nicht auf den Großteil der kirchenfernen Gesellschaft schielt, die sie ja mit ihrer Botschaft eigentlich erreichen will, die ihr aber gerade wegen zu großer Konservativität den Rücken gekehrt hat.

Auch konservative Familienmodelle, die in der Kirche und in weiten Teilen der Gesellschaft noch immer gelebt oder vorausgesetzt werden, entsprechen nicht mehr der Realität. Hier zeigt schon die erwähnte offizielle Stellungnahme der EKD ‚Zwischen Autonomie und Angewiesenheit: Familie als verlässliche Gemeinschaft stärken‘ (auf deren Seite hier
https://www.ekd.de/EKD-Texte/orientierungshilfe-familie/familie_als_verlaessliche_gemeinschaft.html als *.pdf kostenlos zum Download) Ansätze der Veränderung.

Die Frage eines Teilnehmers, wie offen er mit einem Pfarrer über SM sprechen könnte, war mit Hinweis auf das Beichtgeheimnis unter dem evangelische und katholische Pfarrer stehen und das ihnen selbst vor Richtern verbietet, Auskunft über den Inhalt eines Gespräches zu geben, an sich schnell beantwortet. Fraglich blieb hier allerdings die Kompetenz und die Einstellung des Pfarrers dazu.

Ob es über all die erwähnten Themen hinaus noch Konfliktpotential zwischen SMern und der Kirche gäbe, blieb dann auch unklar. Bei provokativen Annäherungen wie ‚Sex auf dem Altar‘ oder die ‚SM-Trauung‘ im Lackoutfit, bei dem das Branding an den Altarkerzen entzündet wird, erscheint der Raum, oder das Umfeld der Kirche eher als Schablone, die
zur Selbstüberhöhung dient: in diesem ‚heiligen‘ Raum etwas besonders oder insgeheim als ‚unheilig‘ Empfundenes zu tun, hat doch für manche einen gewissen Reiz; letztlich aber keinen Inhalt.

Durch das intensive Gespräch verschob sich das Ende des moderierten Teiles dann doch um eine halbe Stunde weiter nach hinten, sodass auch nach der Verabschiedung des Pfarrers mit Dank für das gute und intensive Gespräch noch kleine Gesprächsgruppen bis in die Nacht im Raum blieben die das Besprochene noch weiter fortführten.

 

Quelle: SWL